Überraschung beim BSW
Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen werden mit Spannung erwartet. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht eine wichtige, sogar für die Regierungsbildung entscheidende Rolle in den Landesparlamenten spielen wird. Die neue Partei ist oft für die Vagheit ihrer Positionen kritisiert worden. Für die anstehenden Ost-Landtagswahlen liegen nun ausführliche Programme mit konkreten Forderungen vor. Auch am Wahlomat der Bundeszentrale für politische Bildung hat sich das BSW natürlich beteiligt. Dabei wird deutlich, dass in der personell dünn besetzten Partei noch nicht alles so professionell funktioniert, wie man es gerne hätte.
Der Wahlomat ist als Mittel der politischen Entscheidungsfindung alles andere als unproblematisch: Seine im Kern binäre Funktionsweise, die zu etwa drei Dutzend von der Redaktion formulierten Thesen nur Zustimmung oder Ablehnung oder aber Neutralität gestattet, führt oft zu Verzerrungen. Besonders schwierig wird es dann, wenn den Thesen bereits ein Framing, eine Wertung zugrunde liegt, wie: »In den sächsischen Lehrplänen soll die Beschäftigung mit der SED-Diktatur stärker berücksichtigt werden.« Dafür, dagegen oder egal? Mehr Wissen über die Geschichte der DDR ist dringend wünschenswert, aber wenn Objektivität schon im Ansatz zugunsten von Indoktrination ausgeschlossen wird, ist guter Rat teuer.
Wichtig sind auf jeden Fall die Begründungen, die von den Parteien zu ihrem Votum angeführt werden. Und hier enttäuscht das BSW ausgerechnet für Thüringen, wo ihm die größten Erfolgschancen eingeräumt werden, auf ganzer Linie: Es gibt fast keine. Offensichtlich hatte in Katja Wolfs Team niemand Zeit für eine sorgfältige Bearbeitung. Für Sachsen liegen zu allen Fragen Begründungen vor. Manche davon verwundern.
Generell entsprechen die Stellungnahmen weitgehend dem, was anhand der bisherigen öffentlichen Verlautbarungen des BSW zu erwarten war. In Fragen der Wirtschaft, Sozialpolitik und Daseinsvorsorge positioniert das BSW sich links, jedoch mit Abstufungen: gegen Schuldenbremse, für öffentliche Krankenhäuser und Vermögenssteuer, für Mietpreisbremse, Landespflegegeld und Bildungsurlaub und für die strikte Kontrolle von Lobbyismus. Allerdings gegen einen entgeltfreien öffentlichen Nahverkehr in Sachsen (man ist ja »vernünftig«), wobei in der Begründung das 49-Euro-Ticket ausdrücklich befürwortet wird. Man will eine höhere Mindestvergütung für Auszubildende, aber Bürgergeld-Sanktionen sollen beibehalten werden – diese beiden Punkte treten nur im Themenkatalog für Thüringen auf. Natürlich werden Waffenlieferungen an die Ukraine abgelehnt. Gesellschaftspolitisch sind die Standpunkte eher konservativ, aber durchaus moderater als bei der CDU: Man ist, wie zu erwarten war, für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber. Das BSW spricht sich gegen Gendersprache an Schulen aus, aber auch gegen »Kopfnoten« und gegen die privilegierte Vermittlung des traditionellen Familienbilds. Abgelehnt wird mehr Videoüberwachung, die Fortbildung der Polizei gegen Rassismus wird befürwortet. Und man will die Bundeswehr aus den Schulen heraushalten.
Ebenso überraschend wie befremdlich fallen zwei Positionen im Bereich der Hochschulpolitik auf: Der These »Sächsische Hochschulen sollen stärker mit privaten Unternehmen zusammenarbeiten« stimmt das BSW zu. Begründet wird das mit dem Wunsch nach einer »Verzahnung von hochschulischer Weiterbildung und den Bedürfnissen von kleinen und mittleren Unternehmen«. Gegen eine Zusammenarbeit der Technischen Universität Chemnitz mit mittelständischen Möbelfabrikanten zwecks Entwicklung optimierter Lacke wäre ja nichts einzuwenden, aber ausgeblendet wird das eigentliche Problem der Verquickung von Forschung und Lehre mit mächtigen Kapitalinteressen. Noch irritierender aber ist dies: Im Wahlprogramm für Sachsen bekennt das BSW sich ausdrücklich zur »Zivilklausel« mit ihrem »Ziel, Öffentlichkeit herzustellen, wenn sächsische Hochschulen militärische Forschungsaufträge annehmen und durchführen«. Die Wahlomat-These »An den Hochschulen des Freistaats [Sachsen] soll für militärische Zwecke geforscht werden dürfen« wird dennoch bejaht – unter Verweis auf die »Wissenschafts- und Forschungsfreiheit«. Für Thüringen hingegen wird eine Wiederzulassung von Forschungen für militärische Zwecke an staatlichen Hochschulen ausdrücklich abgelehnt. Das mag verstehen, wer will.
Die Widersprüchlichkeit der Stellungnahmen für Sachsen und Thüringen entlastet das BSW immerhin von dem häufig erhobenen Vorwurf, die Programmatik werde zentralistisch von oben den Landesverbänden diktiert. Aber solche Inkonsistenzen werfen die Frage nach den Entscheidungsprozessen im BSW auf. Dass im Vergleich zum BSW selbst die inzwischen wieder stramm marxistisch-leninistische DKP geradezu vorbildlich transparent ist, gibt jedenfalls zu denken.
Nachtrag 31. August 2024: Brandenburg Auch im Wahlomat zur Landtagswahl in Brandenburg am 22. September hat das BSW für die meisten seiner Positionen keine Begründungen angegeben. Die schwache Performance legt die Schlussfolgerung nahe: Eine schlanke Partei taugt genauso wenig wie ein schlanker Staat. – Immerhin lehnt das BSW auch in Brandenburg militärische Forschung an staatlichen Hochschulen ab.