Armer Habermas
Jürgen Habermas ist 95 Jahre alt. Wie aus Insiderkreisen verlautet, soll er schwer depressiv sein. Das kann niemanden verwundern in Anbetracht der Tatsache, dass die gesamte gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahre seine linksliberale Ideenwelt und seine Vorstellungen von demokratischem Diskurs und »politischer Kultur des Westens« komplett konterkariert. Hoffentlich bekommt er nicht mit, was voriges Jahr an einer Schule in Berlin passiert ist und jetzt erst bekannt wurde: Er würde es vermutlich nicht überleben.
Der Youtuber Sinan Kurtuluş hat neulich in einem seiner wöchentlichen Videos über folgenden Vorgang berichtet: An einem Berliner Gymnasium sind Lehrer mit großem Eifer darum bemüht, den »Schüler*innen« die Gendersprache nahezubringen. Die gesamte Kommunikation in Unterrichtsmaterialien, Rundschreiben und Aushängen erfolgt gegendert. Das Problem ist: Eine große Mehrheit der Schüler will das nicht.
Ein 16-jähriger Zehntklässler, Klassensprecher und als »Teamer« für die Betreuung jüngerer Mitschüler zuständig, hat deswegen in einem dreiseitigen Brief an die Schulleitung mit nüchternen und sachlichen Argumenten seine Einwände gegen diese Praxis dargelegt und am Schluss die Hoffnung ausgedrückt, dass der »zwanglose Zwang des besseren Arguments« sich durchsetzen möge. Intellektuelle wissen: Das ist ein zum geflügelten Wort gewordenes Zitat von Habermas. Der Schüler wusste das nicht, er hat die Wendung von dem Autor und Regisseur Marc-Uwe Kling übernommen, der sie in seinen »Känguruchroniken« aufgreift. Auch Kling ist jemand, der wie Habermas politisch zweifellos dem linken Spektrum zuzuordnen ist. Den Brief haben mehr als drei Viertel der Klassenkameraden unterzeichnet. Auch ein paar Lehrer, die ihn vorab zu lesen bekamen, zeigten Wohlwollen, trauten sich wohl aus Angst vor negativen Konsequenzen aber nicht, ihre Unterschrift hinzuzufügen.
Dann passiert dies: Ein Lehrer steckt den Brief dem Schulsozialarbeiter zu. Der Sozialarbeiter stellt den Verfasser zur Rede. Seine Exhortation mündete in einen intellektuellen Super-GAU: Er meinte, das mit dem »zwanglosen Zwang des besseren Arguments« sei doch wohl »AfD-Sprech«. Vom Amt des Teamers wurde der engagierte Schüler entbunden, weil befürchtet wurde, er könne queerfeindlich sein. Und er bekam ein Antirassismus-Buch in die Hand gedrückt. Die Logik dahinter? Wer auf die Einhaltung der amtlichen Rechtschreibregeln pocht, muss anfällig für Rassismus sein!
Wenn auf Schüler solche Schwachköpfe losgelassen werden, die Habermas-Zitate mit Höcke-Jargon verwechseln, mag das einen Teil zur Erklärung der erschreckend hohen Zustimmungswerte für die AfD unter Jungwählern beitragen.
Ich bin generell kein Freund von Verboten. Aber unter solchen Umständen zieht das Bündnis Sahra Wagenknecht wohl die richtige Konsequenz, wenn es fordert, dass Schulen sich an die amtlichen Rechtschreibregeln zu halten und den Sternchenklimbim zu unterlassen haben – weil offensichtlich nur so Jugendliche davor geschützt werden können, von außer Rand und Band geratenen Wokeness-Predigern in eine politische Ecke gedrückt zu werden, mit der sie nichts zu tun haben.