Sorry, Sahra
Staatstragende Journalistin versus Populistin: Der gestrige Versuch von Caren Miosga, Sahra Wagenknecht in die Pfanne zu hauen, artete in eine Schlammschlacht aus. Miosga legte es darauf an, den ZDF-Kollegen Markus Lanz an Unverschämtheit noch zu überbieten. Aus dem Autodafé wird Sahras Fanclub gestärkt hervorgehen. Der Absatz von Sahra-Kultartikeln, die in der Sendung als belastendes Material präsentiert wurden, wird sicher steigen.
Was den Personenkult betrifft: Wie ich an anderer Stelle schon gesagt habe, trägt Sahra Wagenknecht tatsächlich Züge eines »welthistorischen Individuums« im Sinne von Hegel. So nannte dieser Individuen, in deren subjektiven Leidenschaften und Idiosynkrasien eine objektive geschichtliche Tendenz sich Bahn bricht. Wenn ich Sahra so nenne, wird sie als Hegelkennerin wissen, dass das kein reines, sondern ein dialektisch ambivalentes Kompliment ist. Wie Hegel ausführt, sind welthistorische Individuen im Verfolgen ihrer Zwecke zwangsläufig »rücksichtslos«, sie müssen »manche unschuldige Blume zertreten, manches zertrümmern auf ihrem Wege« und setzen sich deshalb dem »moralischen Tadel« aus. Sahra ist erfolgreich, weil sie eine in Deutschland objektiv bestehende politische Repräsentationslücke füllt. Weil ihre Idee eines neuen Bündnisses aus Arbeiterklasse und alter Mittelschicht gegen die Herrschaft der (von Andreas Reckwitz beschriebenen) »neuen Mittelklasse« sich derzeit nicht auf eine starke Arbeiterbewegung stützen kann, funktioniert sie einstweilen nur »populistisch«, die Fixierung auf eine charismatische Führungsperson ist der Kristallisationskeim, der eine fragmentierte und heterogene Zielgruppe zusammenführt. Dass das die beitragsfinanzierten Propagandatröten der neuen Mittelklasse nicht freut, muss niemanden wundern. Die ebenso entscheidende wie offene Frage ist die, ob daraus eine auch jenseits des Personenkults handlungsfähige Formation hervorgehen kann.
Dass Sahra sich in »rechter« Rhetorik übe, sollte anhand ihrer Titulierung von Olaf Scholz als »Vasallenkanzler« bewiesen werden. Ich halte diese Charakterisierung für sachlich falsch. Aber dass die Rede vom Vasallentum »rechts« sei, erweist sich als absurd, wenn man weiß, dass in Frankreich einst de Gaulle und noch neulich Macron diese Vokabel verwendet haben. Das sachliche Problem, das ARD-Redakteure allerdings sicher nicht im Sinne haben, liegt darin, dass der Versuch, den deutschen Imperialismus ausgerechnet für seine vermeintlich mangelnde Souveränität gegenüber den USA zu kritisieren, schon bald obsolet sein könnte. Wir wissen nicht, wie im November die US-Präsidentschaftswahl ausgehen wird. Sollte ihr Sieger Donald Trump heißen und mit seinen Plänen eines Rückzugs aus der NATO Ernst machen, werden wir im dann zur Souveränität verurteilten Deutschland ein Ausmaß an Aufrüstung und Militarismus erleben, das wir uns zur Stunde noch gar nicht vorstellen können.
Es verbleibt ein Punkt, wo Caren Miosga tatsächlich Sahra an der Achillesferse getroffen hat: Die Tafel-Frage hat ihr sichtlich zugesetzt. Sorry, Sahra, Caren has a point. Dass Sahra für die Klientel der Tafeln eine besondere persönliche Empathie aufbrächte, erscheint wahrhaftig nicht ganz plausibel. In der Tat übt sie sich eher in Mittelstandsromantik. Aber der Verband der Familienunternehmer zeigt ihr die kalte Schulter, und der bodenständige Gothaer Lokalmatador und Geschäftsmann Mike Creutzburg ist vom BSW zur Werteunion übergetreten, weil er für Mindestlohn und Bürgergeld nicht viel übrig hat.
Die Partei könnte das soziale Glaubwürdigkeitsproblem leicht lösen. Gut bewährt hat sich das KPÖ-Modell: In der Steiermark und in Salzburg behalten die kommunistischen Mandatsträger von ihren Bezügen einen Facharbeiterlohn, der Rest geht in Sozialfonds zur Unterstützung von Mietern. Die in letzter Zeit bemerkenswert erfolgreiche Partei der Arbeit Belgiens verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Den Abgeordneten des BSW sei es zur Nachahmung empfohlen.

